Berührungen sind wie ein Vitamin

Kristin Zabel ist Profi-Kuschlerin, was das heißt und warum Kuscheln so wichtig ist, erzählt sie im Interview. Kuscheleinheiten werden von einigen Therapeut:innen mittlerweile auch als Zusatz zur psychotherapeutischen Begleitung empfohlen.

Wie bist du auf den Job als professionelle Kuschlerin gekommen?

Ich bin 2018 mit meinem Studium fertig geworden und war am Überlegen, wie es weitergehen soll und hab dann jemanden kennengelernt, der professionell als Kuschler gearbeitet hat. Das fand ich spannend und hab dann geschaut, ob das auch zu mir passen könnte. Mich interessiert es, Menschen ganzheitlich zu helfen. Ich habe nach dem Studium übergangsweise in der Altenpflege gearbeitet. Da hatte ich aber nicht die Möglichkeit, mir wirklich Zeit für die Menschen zu nehmen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen.

Was ist das faszinierende an deiner Arbeit als Kuschlerin?

Durch den Körperkontakt öffnen sich die Menschen auf seelischer Ebene. Sie fühlen sich bei mir geborgen, so fällt es ihnen leichter loszulassen. Sie wissen, dass sie sich nicht vor Ablehnung fürchten müssen und sich komplett angekommen und sicher fühlen können. Durch das Kuscheln wird unter anderem Oxytocin freigesetzt und ein Bewusstsein für den eigenen Körper geschaffen. Bei an Depression erkrankten Menschen ist beispielsweise oft die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum gestört und Berührungstherapie vermag hier darin zu unterstützen, dieses wieder zu erlangen. In Studien hat sich gezeigt, dass Berührungstherapie bei depressiven Verstimmungen ähnlich gut wie Medikamente wirken kann. Deshalb wird Kuscheln von einigen Therapeut:innen mittlerweile auch als Zusatz zur psychotherapeutischen Begleitung empfohlen. Die Krankenkassen übernehmen dafür allerdings noch in den seltensten Fällen die Kosten.

Wer kommt zu dir und welche Bedürfnisse bringen sie mit?

Die Menschen, die mich besuchen, haben die unterschiedlichsten Hintergründe und sind vom Alter her von Anfang 20 bis über 60 Jahre. Manche leben allein, manche in einer Partnerschaft. Die meisten sind bei mir, weil sie den Körperkontakt vermissen. Einige wollen auch soziale Ängste abbauen und wieder andere sehen das Kuscheln als eine Art Wellnessleistung, wie Massagen oder einen Friseurbesuch. Viele kommen zunächst angespannt und aufgeregt zu mir. Sie haben Sorgen und Gedanken, die sie beschäftigen und sind sehr im Kopf. Die Berührungen sorgen dafür, dass sie sich entspannen und gelöster werden. Sie kommen mehr in ihren Körper, werden geerdet, euphorisch, glücklich, sozial offener und empathischer. In diesem Zustand entlasse ich sie und der hält auch eine Weile an. Meine Kund:innen berichten mir im Nachgang, dass sie danach oft besser und ruhiger schlafen können. Dass sie für gewisse Probleme Lösungen gefunden haben oder zumindest Prozesse in Gang gesetzt wurden.

Kuscheln ist also sehr wichtig für uns?

Ja, man kann Berührungen eigentlich als ein Vitamin betrachten. Fehlen sie, treten sowohl psychische als auch körperliche Mangelerscheinungen auf, wie Traurigkeit, Aggressionen oder depressive Verstimmungen und auch das Immunsystem kanndarunter leiden. Gerade bei Kindern kann Berührungsmangelfatale Folgen haben, wie Studien beweisen. Erfahren Babyskeine Berührungen können sie sterben, bei Kindern könnensich Gehirnentwicklungen verzögern und sich Verhaltensproblemeeinstellen und bei alten Menschen kann fehlende Berührungdazu führen, dass das Gehirn schneller abbaut … DerTastsinn ist unser erster Sinn und der letzte, der geht, wennwir sterben. Ich finde, dass zeigt schon, wie essenziell er ist.

Wie laufen die Kuschelstunden bei dir ab?

Bevor die Kuschelzeit beginnt, lernen wir uns in einem zehnminütigen Gespräch etwas besser kennen. Ich erfahre, was die Beweggründe für den Besuch sind oder ob Berührungsängste bestehen. Bei schweren psychischen Problemen würde ich die Behandlung zum Beispiel ablehnen oder nur unter Absprache mit dem behandelnden Therapeuten durchführen, weil das meine Kompetenzen überschreitet. Nach diesem kurzen Kennenlernen wird von beiden Seiten eine Vereinbarung unterschrieben in der deutlich wird, welche Berührungen in Ordnung sind und welche nicht. Es sind grob zusammengefasst, Berührungen, die denen eines Elternteiles gleichen, das mit seinem Kind kuschelt. Dann begeben wir uns mit bequemer Kleidung auf die Kuschelwiese, wie ich meinen Ort zum Kuscheln nenne. Meist beginne ich am Anfang mit meinen Fingern über die Hände der anderen Person zu streichen und danach über Schultern und Rücken. Nach ungefähr zehn Minuten entfaltet sich die positive Wirkung der Hormone und die Menschen entspannen sich zusehends. Dann werden meist auch intensive Umarmungen möglich und ich erspüre oder erfrage weitere Bedürfnisse. Möchte die Person gekrault, massiert, gestreichelt oder vielleicht auch einfach nur gehalten werden? Dabei ergeben sich oft tolle Gespräche, aber auch im Schweigen können heilsame Prozesse angestoßen werden.

Wie lange dauert eine Behandlung?

Meistens dauert sie eine Stunde. Es gibt aber auch Menschen, die mich bis zu drei Stunden buchen, meist, wenn sie von weiter herkommen. Denn ich habe nicht nur Kund:innen aus Sachsen-Anhalt, sondern auch aus weiter entfernten Städten. Selbst ein Österreicher war schon bei mir zu Gast, allerdings war er gerade sowieso auf Deutschlandreise.

Was bringt Menschen dazu, so weit zu fahren, um zu kuscheln?

Die Menschen, die eine weitere Reise auf sich nehmen, sind häufig aus Einsamkeit da. Sie haben sonst niemanden, der ihnen den Körperkontakt gibt, den sie brauchen und tiefere Gespräche mit ihnen führt. Menschen, die viel für sich und alleine sind, haben durch mich die Möglichkeit eine Verbindung in einem professionellen und sicheren Rahmen einzugehen. Ich hatte auch schon Kund:innen, die vorher zu einer Prostituierten gegangen sind, die aber festgestellt haben, dass ihnen das Kuscheln mehr gibt. Denn Sex setzt vor allem Dopamin frei, was aufputschend wirkt. Das Kuscheln erzeugt Hormone wie Oxytocin und Serotonin. Diese Hormone machen entspannt und glücklich und sind vermutlich ein besserer Ausgleich zu unserer leistungsorientieren Gesellschaft, die genügend Aufregungen bietet.

Was sagen andere zu deiner Tätigkeit als Kuschlerin?

Manche reagieren belustigt auf meinen Job, andere halten ihn für sehr wichtig und finden es toll, dass ich ihn mache, wieder andere verurteilen, dass ich dafür Geld nehme oder verbinden ihn mit Prostitution. Deshalb ist es schön, dass für dieses Berufsfeld immer mehr Aufklärungsarbeit geleistet wird. Ich weiß, dass meine Arbeit sinnvoll ist und einen Wert hat, weil ich nach jeder Kuschelstunde in ein zufriedenes und strahlendes Gesicht blicken darf.

Kristin Zabel

Krstin Zabel befindet sich Anfang 2021 noch in Elternzeit und bietet deshalb keine Kuschelstunden an. Ob und wann sie die Arbeit als Kuschlerin wieder aufnehmen kann, ist noch nicht klar. Die studierte Germanistin und Philosophin kann sich für viele Dinge begeistern und ist sich noch unsicher, in welche Richtung sie sich in Zukunft bewegen möchte.

Kristin Zabel
Foto: Kristin Zabel