Bilder im Kopf

Viktoria Lukina arbeitet als Filmemacherin, es ist ihr Traumjob und doch war der Weg zu diesem Beruf für sie nicht leicht.

Wie begann dein Interesse fürs Filmemachen?

Schon in der Schule konnte ich mich sehr für Theater und Film begeistern. Ich liebe es, danach das Gesehene zu besprechen und darüber zu philosophieren. Selbst wenn niemand mit mir sprechen will, geht die Analyse in meinem Kopf weiter, das ist bis heute so. Aber in Estland, meinem Geburtsland, ist die Filmszene sehr klein. Ich habe auch nicht an mich selbst geglaubt, deshalb habe ich nicht überlegt, wie ich einen Job in der Filmindustrie bekommen kann. Dann bin ich auf Grund meines Studiums (Germanistik/Geschichte) mit 20 Jahren nach Deutschland, genauer gesagt nach Bremen, umgezogen und habe kurz danach den Film „The Return“ von Andrei Swjaginzew gesehen. Der hat mich mit seiner großen metaphorischen Sprache sehr begeistert und ich hatte wieder den Gedanken im Kopf in dem Bereich zu arbeiten. Doch es hat noch sechs Jahre gedauert bis ich mich wirklich getraut habe, Filme zu machen. Da war ich schon in Magdeburg.

Warum hast du dich für ein Germanistik-Studium in Deutschland entschieden?

Dass ich zum Studieren nach Deutschland gehe, das war immer der Plan. Ich habe Deutsch gelernt. Mein Vater hat sich gewünscht, dass ich hier studiere, weil er es in Estland für uns als Kinder als zu unsicher empfand. Es gab damals viele Probleme zwischen Esten und Russen. Das habe ich natürlich als Kind mitbekommen, konnte es aber nicht einordnen. Mein Vater hat immer gedacht, dass es in Estland keine Zukunft gibt für seine Kinder. Heute denkt er darüber anders. Estland hat sich wirklich super entwickelt in den letzten 10 bis 15 Jahren.

Wie wichtig ist dir die Meinung deiner Eltern?

Mein Vater ist Schiffskapitän. Er war früher monatelang weg. War viel im Ausland. Es war immer ein großes Fest, wenn er da war. Deshalb war es mir sehr wichtig, was er sagt. Ich habe die Zeit mit ihm immer sehr geschätzt, weil ich wusste, dass er bald wieder weg sein wird. Mein Vater ist eine Person, die sehr viel motiviert und uns Dinge beigebracht hat, wie das Schwimmen oder Autofahren. Aber natürlich ist er auch mit Genderstereotypen aufgewachsen. Seine Vorstellung war, dass ich als Frau vor der Kamera stehe. Hinter der Kamera konnte er sich mich nicht vorstellen. Von meiner Mutter habe ich eher Kommentare bekommen, wie ‚du siehst schön aus‘ oder ‚wir machen dich schön‘. Es ging immer ums Aussehen. Für meinen Vater war immer eher wichtig, was ich im Kopf habe, das fand ich gut.

Okay, wie kam es, dass du dich dann doch näher mit deiner Leidenschaft zum Film auseinandergesetzt hast?

In Bremen hatte ich mein Leben, meinen Job und mein Studium. In Magdeburg kannte ich niemanden, nur meinen Freund, der hier Arbeit hat. Und dann hatte ich diese Leere und habe darüber nachgedacht, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Ich habe dann an einem
Erasmus-Workshop teilgenommen, um andere Leute kennenzulernen und habe so durch Zufall vom Offenen Kanal erfahren. Hier gefiel mir sofort, dass man Dinge machen darf, die einem selbst gefallen und Unterstützung dabei bekommt. Ich habe dann dort ein Praktikum machen dürfen, hab mich aber zunächst mit Schnitt, Interviewführung und Recherche beschäftigt. Doch dann begleitete ich eine Reise nach Tatarstan. Hier musste ich auch drehen, weil wir nur zu zweit unterwegs waren. Diese Verantwortung habe ich bisher vor mir weggeschoben. Ich hatte Angst vor den ganzen Einstellungen an der Kamera, damit das Bild stimmt, das habe ich immer andere übernehmen lassen. Aber am Ende kam sogar ein Lob vom Kameramann, das hat mir einen Aufschwung gegeben, mich näher mit der Thematik auseinanderzusetzen. Seitdem habe ich versucht selbst zu lernen, wie man Kameras einstellt, damit ich keine Hilfe brauche und unabhängig drehen kann. Ich habe mir erlaubt, Fehler zu machen und mich damit beruhigt, dass ich im Schnitt noch etwas am Bild korrigieren kann. Das war nicht leicht, weil ich schon viele perfektionistische Gedanken in mir habe. Durch die viele Übung sind die Ängste jetzt weg. Man muss einfach machen, sonst kommt man nicht voran.

Hast du viele Vorurteile gegenüber deinem Können gehabt?

Ja, ich hatte viele Stereotype im Kopf. Ich bin ein Mädchen. Ist doch klar, dass ich die Kamera nicht bedienen kann, zum Beispiel. Und mit diesen Stereotypen bin ich nicht allein. Auch von anderen wird kommentiert: ‚Oh, heute ein Mädchenteam‘, wenn nur Frauen im Drehteam sind. Oder wenn ich einen Fehler mache, dann liegt es daran, dass ich eine Frau bin. Da kam auch schon mal der Kommentar ‚Schatzi, das machst du falsch‘ von einem externen Kameramann. Mich hat dabei nicht gestört, dass er mich kritisiert, weil ich es ja wirklich falsch gemacht habe, sondern wie er es gesagt hat. Ich weiß das auch von einer Regisseurin hier aus der Stadt, wenn sie mit zwei Kameramännern loszieht, werden immer erst die Männer angesprochen und nicht sie als Regisseurin. Unterbewusst ist immer noch in den Köpfen, dass Frauen keine Filme machen können. Erst im Jahr 2020 wurde beispielsweise die erste Frau für einen Oscar in der Kameraarbeit nominiert.

Wie lässt sich das ändern? Hast du eine Idee?

Ich wünsche mir, dass Frauen sich trauen und den Stereotypen nicht glauben. Je mehr Frauen Filme machen, desto leichter wird es für andere. Wenn eine Frau den Wunsch hat Filme zu machen, dann sollte sie es machen und nicht darüber nachdenken, was die anderen denken werden. Bei Filmfestivals helfen da auch Quoten, um Frauen sichtbar zu machen. Ich glaube, Männer haben es auch leichter, weil es ihnen eher erlaubt ist Fehler zu machen, Frauen nicht. Sie müssen perfekt sein, damit sie später einen Mann finden, der sie liebt. Zumindest habe ich das so in meiner Kindheit wahrgenommen. Fehler hießen für mich, ich kann nur verlieren und nichts gewinnen. Männer dürfen eher riskieren und haben dann natürlich auch die Möglichkeit etwas zu gewinnen.

Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen scheinen dich zu beschäftigen.

Ich bin jetzt 32 Jahre alt und den Großteil meines Lebens habe ich mich nicht als Feministin bezeichnet. Doch in Deutschland musste ich plötzlich Verantwortung für mich selbst übernehmen, eigene Entscheidungen treffen. Da ist mir aufgefallen, wie schwer mir das fällt. Was kaufe ich ein? Wie suche ich eine Wohnung? Wie melde ich Strom an? Das wusste ich alles gar nicht. Ich musste lernen, mich um mein Leben zu kümmern, und es stellte sich für mich dann irgendwann die Frage, warum ich das alles nicht kann. Und so bin ich zu der Rolle von Frauen und Männern in der Gesellschaft gekommen. Mir war vorher nicht bewusst, dass ich mich selbst klein mache und sehr unsicher bin.

Nun hast du mit dem Projekt „Frauen-Stärken“ dabei geholfen, geflüchteten Frauen aus Afghanistan sichtbar zu werden. Welche Wirkung hatte das Projekt?

Es gab schon mehrere Projekte beim Offenen Kanal, die bewusst Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in den Fokus rücken. Ich weiß selbst, wie sehr mir die Arbeit beim Offenen Kanal geholfen hat, auch um mehr Selbstbewusstsein dazuzugewinnen, da habe ich direkt zugesagt, die Verantwortung für das sechs Monate laufende Projekt zu übernehmen. Die Frauen lernten in dieser Zeit, wie man ein Drehbuch schreibt, Regie führt, dreht und schneidet und durften ein eigenes Filmprojekt umsetzen. Sie waren super begeistert. Ich habe gesehen, wie gut sie sich gefühlt haben und stolz darauf waren, was sie geschafft haben. Es ist wichtig für die Frauen gesehen zu werden und sich zeigen zu können so, wie sie sind. Diese praktische Erfahrung kann viel mehr bewegen als Theorie. Unser Projekt ermächtigt sie selbst etwas zu tun und festzustellen, was sie alles können. Viele sind seit sechs Jahren hier, aber es gibt nicht so viele Menschen, die seitdem wissen wollten, wie es ihnen geht. Und wenn du sechs Jahre in so einem eingesperrten Raum lebst mit Menschen aus deinem Land, dann versuchst du diese Wände zu brechen, aber Menschen von draußen halten diese Wände.

Was meinst du damit?

Also du versuchst Arbeit zu finden, aber es klappt nicht oder sei es die Sprache, sei es das Kopftuch, es ist schwierig. Ich glaube dieses Projekt ist eine kleine Brücke in die Gesellschaft. Ein Gefühl der Anerkennung, dass andere die Geschichte sehen wollen.

Also ein wichtiger Schritt zur Integration?

Ich bin keine Freundin vom Wort Integration. Hier wird davon ausgegangen, dass ein Kreis zum Rechteck werden kann. Bei Menschen mit Behinderung wird auch nicht über Integration gesprochen, das heißt schon Inklusion, weil man versteht, der Mensch wird nicht anders. Aber wenn man über andere Kulturen spricht geht man davon aus, dass man eine Kultur völlig ausblenden kann und mit großer Freude in die nächste springt. Leider funktioniert das nicht.

Bist du zufrieden mit deiner beruflichen Entwicklung?

Ich glaube, ich bin immer noch nicht an dem Punkt, wo ich hinwill. Bisher habe ich noch kein selbstständiges Projekt gemacht und die ganze Verantwortung dafür übernommen. Ich finde immer wieder Ausreden, nicht damit anzufangen. Eigentlich sollte ich das machen.

Das Interview führt Kristin Plumbohm

Projekt „FrauenStärken“

Unter Leitung von Viktoria Lukina, Soniya Frotan und Kristin Kölling lernten zehn geflüchtete Frauen aus Afghanistan in einer Reihe von Workshops Drehbuch, Kamera, Ton, Licht und Schnitt kennen. Sie wurden Autorinnen ihrer Filme und bestimmten Inhalt und Form. Daraus sind zwei Dokumentationen entstanden. Hier geht es zum ersten Teil: https://youtu.be/DVTIzQUQN5s

Projekt "FrauenStärken" - Marina Mohammadi und Viktoria Lukina
Foto: Sarina Mohammadi