Der stille Wandel

Vom ersten Bluten bis zur Selbstakzeptanz – Die Kraft der Menstruation für sich entdecken.

Ich erinnere mich. Ich erinnere mich daran, wie ich mit einem seltsamen Ziehen im Unterleib und dem Gefühl, dringend aufs Klo zu müssen, darauf warte, vom Bus abgeholt zu werden. Die Mutter der Klassenkameradin, mit der meine Eltern eine Fahrgemeinschaft haben, ist immer zu spät.

Ich erinnere mich, wie ich Zuhause ankomme, ins Bad stürze, mir die Hose runterziehe und auf dem Klo sitzend merke, dass da Blut in meiner lila Unterhose mit dem Pferdemotiv ist.

Mein Herz zieht sich zusammen. Ich weiß, was das ist. Ich weiß, was das ist und ich weiß es doch nicht. Mein Körper hat sich verändert in den letzten Monaten. Ich habe Haare bekommen in den Achselhöhlen und an den Beinen. Meine Eltern haben mich damit aufgezogen, meine Mutter meinte, ich stinke.

Ich ziehe meine Unterhose aus und versuche, die dunklen Blutflecken auszuwaschen. Ich habe Angst, dass ich Ärger bekomme, weil ich sie beschmutzt habe. Ich husche in mein Zimmer, hole eine frische Unterhose und lege sie zurück im Bad mit Klopapier aus. Mein Vater sitzt in seinem Arbeitszimmer im Keller, meine Mutter ist noch unterwegs. Ich föhne die mehr schlecht als recht gewaschene Unterhose, hoffe, dass mein Vater nichts hört, nicht nach oben kommt und nachfragt. Mein Bauch tut weh.

Die Periode als notwendiges Übel

Deine Tage. Es kann sein, dass du bald deine Tage bekommst. Meine Mutter hat mich vorgewarnt. Sie hat gesagt, das gehe allen Mädchen so, bei manchen kämen sie früher, bei manchen später. Ich sei frühreif, hat sie gesagt, und mir empfohlen, mich mit Naddl anzufreunden, dem Mädchen, das dieses Schuljahr neu in unsere Klasse gekommen ist, weil es sitzen geblieben ist. Naddl hat ihre Tage schon, das weiß ich. Sie hat es mir und den anderenMädchen aus unserer Klasse in der Sportumkleide erzählt. Wenn Naddl das sagt, dann klingt das cool. Cool fühle ich mich gerade aber ganz und gar nicht. Was soll ich jetzt tun?

Ich verlasse das Bad, krame ein Diddlblatt aus meiner Schublade und schreibe einen Zettel: Hey Mama. Ich glaube ich hab meine Tage bekommen. Mehr nicht. Als sie abends nach Hause kommt, findet sie ihn. Sie lacht darüber, sagt, er sei süß. Dann gibt sie mir Binden. Es fühlt sich an, als würde ich eine Windel tragen. Meine Mutter zuckt mit den Schultern. So ist das halt. Da gewöhnst du dich dran. Wir können in ein paar Zyklen auch mal nach kleinen Tampons gucken. Ich schlucke. Damit hat die Sache sich erledigt. Bin ich jetzt eine Frau?

Ein tiefes Misstrauen in die eigene Lebendigkeit

Jahre später sitze ich in einem Kreis von Menschen, die sich als Frauen identifizieren, und von ihrer ersten Blutung erzählen. Viele haben sich geschämt für das, was da aus ihnen heraus in die oft noch mädchenhafte Unterwäsche geflossen ist. Wenige, ganz wenige, haben sich gefreut. Und die meisten haben nicht wirklich verstanden, was genau mit ihnen und ihrem Körper passiert. Ich habe versucht, dagegen zu kämpfen. Ich hörte auf zu essen, hungerte alle Rundungen weg, wollte ja nicht werden, wie meine Mutter – und hörte nach wenigen Monaten wieder auf zu bluten. Die Magersucht fraß alles Lebendige in mir und nährte ein tiefes Misstrauen in mich und meinen Körper. Einen Klinikaufenthalt und viele Therapiesitzungen später stürzte ich mich ins andere Extrem: Ich trug Push-Up BHs und Mascara, trank und knutschte auf Partys mit allen Jungs herum, die ich bekommen konnte. Meine Tage kamen wieder – und kurz darauf nehme ich, nach heftigen Diskussionen mit meinen Eltern, die Pille.

Der Einfluss der Pille

Ich wusste damals nicht, dass die Pille meinen Eisprung unterdrückt. Ich hatte keine Ahnung, wie sich Progesteron auf meinen Körper und meine Stimmung auswirken. Ich wollte cool sein und nicht schwanger werden und diesen Zweck hat die Pille erfüllt. Erst als ich sie mit 19, nach fünf Jahren, absetzte, bemerkte ich, dass ich mich veränderte: Die Wassereinlagerungen, mit denen ich mich abgefunden hatte, verschwanden. Meine Gefühle bekamen eine neue Bandbreite. Es gab Tage, an denen Körper, Geist und Seele vibrierten, Worte für Texte mir auf langen Spaziergängen zuflogen und ich merkte, wie Männer sich auf der Straße nach mir umdrehten, selbst wenn ich ungeschminkt zum Supermarkt ging. Ich lernte meine eigene Tiefe kennen, Tage, an denen ich mich ehrlich fragte, wozu ich lebte und an denen ich das Bedürfnis hatte, mich zurückzuziehen. Ich spürte, dass es einen Zusammenhang mit meinem Zyklus gab und begann, ihn aufzuzeichnen, Muster zu erkennen.

Die Verbindung zwischen meinem Zyklus und meinem Leben

Heute weiß ich, dass ich kurz nach meiner Blutung Leistungsdruck verspüre, weil ich das Gefühl habe, die Zeit der Ruhe kompensieren zu müssen, und kann mich bremsen. Ich weiß, dass ich in der ersten Zyklushälfte offen bin, neue Dinge auszuprobieren und über meinen Schatten zu springen und in der zweiten Zyklushälfte Zeit brauche, um das neu Gelernte

zu integrieren und zu reflektieren. Ich sage offen, wenn ich blute, verbringe diese Tage nach Möglichkeit im Home-Office und tue mir etwas Gutes. Und ich referiere am liebsten vor großen Gruppen und stecke sie mit meiner Begeisterung an, wenn gerade sowieso alles kribbelt und ich kurz vor meinem Eisprung bin.

Feministischer Idealismus

In meiner idealen Welt hätte ich mir gewünscht, von meiner Mutter in die Geheimnisse des weiblichen Zyklus mit seinen hormonellen Wechselfällen eingeweiht zu werden. Ich hätte mir gewünscht, dass sie mir erklärt, was in meinem Körper passiert, mir von sich erzählt und mich im Kreis blutender Frauen willkommen heißt. In meiner idealen Welt würden Frauen es sich zugestehen, sich und ihren Zyklus besser kennenzulernen und für die Bedingungen ein- und aufzustehen, die sie brauchen, um mit sich selbst im Einklang leben, lieben und arbeiten zu können.

Text: Sophia Alt