Ein geheimer Ort

Was passiert hinter den Türen eines Frauenschutzhauses? Zwei Mitarbeiterinnen geben einen Einblick.

Auf welchem Weg finden die Frauen zu euch? Was ist häufig der Auslöser für sie, diesen Schritt zu gehen?

Sandra*: Entweder es kommt ein Anruf über die Polizei, über die Beratungsstellen oder die Frauen rufen selbst bei uns an.

Marlene*: Manche Frauen besuchen auch zunächst unsere ambulante Beratung. Jede zweite oder dritte Frau, die bei mir in der Beratung sitzt, fängt an mit dem Satz: ‚Ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin. Wahrscheinlich nehme ich gerade nur einer Frau den Platz und die Zeit weg.‘ Dann beginnt sie zu erzählen und es wird klar, dass es körperliche Gewalt gab und dass auch die psychische Gewalt schon lange anhält. Es ist allerdings sehr unterschiedlich, was der Auslöser war, zu uns zu kommen. Manchmal ist es die Begegnung mit einer guten Freundin, es spielt die Angst um das eigene Kind rein oder es gab einen akuten Vorfall, aber es kann auch die Scham gegenüber der Nachbarschaft sein.

Wie muss ich mir das Leben im Frauenschutzhaus vorstellen?

Marlene: Es gibt mehrere Bereiche mit Wohnzimmern und Küchen sowie Spielzimmer. Manche Frauen kommen alleine, andere mit ihren Kindern. Wir haben deshalb 14 Zimmer in unterschiedlichen Größen. Jede Frau hat ihr eigenes Zimmer und ihren eigenen Kühlschrank. Momentan ist es so, dass das Frauenhaus in Magdeburg gut gefüllt ist. Wir finden aber auf jeden Fall immer einen Platz für betroffene Frauen. Im Notfall verweisen wir auf andere Städte.

Sandra: Wir sind ein Schutzraum, das heißt, die Adresse des Frauenschutzhauses ist anonym und wir haben einen Bereitschaftsdienst und eine Bereitschaftsnummer, die rund um die Uhr für Notfälle erreichbar ist. Wir sind allerdings nicht 24 Stunden vor Ort. Dadurch, dass sie zusammen wohnen, ähnliche Erfahrungen gemacht haben und sich darüber austauschen können, stärken sie sich auch untereinander.

Marlene: Mir ist es immer wichtig zu vermitteln, dass wir Wegbegleiterinnen sind. Die Frauen sind eigenständige Personen, die selbst entscheiden. Sie kommen freiwillig zu uns und bleiben auch nur so lange, wie sie wollen. Wir wollen die Frauen empowern und sie in ihre Kraft zurückbringen. Wir empfehlen, beraten und begleiten nur auf Wunsch.

Sandra: Die Frauen sind Opfer häuslicher Gewalt. Das heißt, sie haben zu Hause gar keine Selbstständigkeit mehr erfahren. Sie müssen deshalb erst wieder lernen, eigene Entscheidungen zu treffen und dabei helfen wir ihnen. Wir sind da und begleiten, nehmen aber nicht alles ab. Das Ziel ist, dass sie wieder in eine eigene Wohnung gehen und da selbstständig agieren können.

Wie läuft die erste Kontaktaufnahme ab?

Marlene: Im ersten Gespräch führen wir eine Gefährdungsanalyse durch. Wir klären, ob der Schutz bei uns ausreichend ist oder es sicherer ist, die Frau in ein anderes Bundesland zu bringen oder sie in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.

Sandra: In einem Aufnahmegespräch werden die Daten der Frau erfasst und wir reden darüber, welches Problem es gibt und wie wir es bearbeiten wollen. Wir gucken, dass wir die Frauen ausstatten, falls sie ohne Geld, Kleidung, Essen und Hygieneartikel kommen. Wir schauen, was an Gewalt passiert ist. Wir klären, wie das mit den Kindern ist, also wer das Sorgerecht hat und welche Einrichtungen die Kinder besuchen. Wir haben in Magdeburg auch eine Fachkraft, die allein auf das Wohlergehen der Kinder guckt. Zusätzlich gibt es das mobile Team. Das sind Psychologinnen, die für die Frauenhäuser zuständig sind.

Sandra: Was der Knackpunkt in Einzelfällen ist, sind die Kosten, die anfallen. Die Frauenberatungsstelle ist vertraulich, kostenlos und auf Wunsch auch anonym. Das Frauenschutzhaus jedoch kostet Geld. Unser Träger ist dafür verantwortlich zehn Prozent der Kosten selbst zu stemmen, das passiert hauptsächlich über Wohnkosten. Diese Kosten sind nicht unerheblich und unterscheiden sich von Frauenhaus zu Frauenhaus. Wir haben in Magdeburg einen Tagessatz von 19,49 Euro pro Frau und 7,80 Euro pro Kind. Das sind Kosten, die verschiedene Frauen in einer Notsituation einfach nicht aufbringen können. Frauen, die Unterstützung vom Jobcenter oder Sozialamt bekommen, haben da einen Vorteil. Hier werden die Kosten anteilig oder komplett übernommen.

Marlene: Tendenziell kommen deshalb vermutlich auch eher Frauen ins Frauenhaus, die schon im Hilfesystem stecken, auch wenn es nur so etwas wie Leistungen vom Jobcenter sind. Frauen, die Arbeiten gehen, im Studium oder bereits in Rente sind, bekommen keine finanzielle Unterstützung. Das heißt, die Frauen bleiben auf den Kosten für das Frauenschutzhaus sitzen, müssen zusätzlich Geld für ihren Lebensunterhalt aufbringen und haben eventuell noch die Miete von der alten Wohnung zu zahlen.

Sandra: Da kann die Angst vor Schulden größer sein, als das Bedürfnis sich in Sicherheit zu begeben. Das ist ein Problem, das deutschlandweit angegangen werden müsste.

Marlene: Die Frauen finden es in dieser Situation sowieso schon unfair, dass sie diejenigen sind, die gehen und ihr gewohntes Umfeld aufgeben und alles neu organisieren müssen.

Müsste mehr auf die Täter geschaut werden?

Sandra: Es gibt die Möglichkeit der Wegweisung des Täters vom eigenen Zuhause, wenn die Polizei vor Ort ist. Bis zu 14 Tage darf der Täter sich dann theoretisch der Wohnung nicht näheren. Ihm wird der Hausschlüssel abgenommen und dann muss er sich für den Moment eine andere Unterkunft suchen. In der Zeit hat die Frau die Möglichkeit sich Hilfe zu suchen, kann zum Beispiel einen Anwalt hinzuziehen und ein Kontakt- und Annährungsverbot erwirken.

Marlene: Wenn wir uns das Strafrecht anschauen und das Gewaltschutzgesetz…. es ist ein guter Ansatz, aber es reicht nicht. Spielen wir den Gedanken mal zu Ende: Er hält sich nicht an die Bestimmungen und die Wegweisung. Letztlich ist die Höchststrafe ein Ordnungsgeld, das er vielleicht noch nicht mal selbst bezahlt, weil er Sozialhilfeempfänger ist.

Haben sich die Problemlagen der Frauen in den Jahren verändert?

Sandra: Die Gewalt an sich ist komplexer geworden. Viele Frauen haben ein unglaublich großes Gewaltpaket, das sie mit sich herumtragen, oben drauf kommen noch Schulden, Drogenprobleme, Sprachbarrieren und Probleme mit dem Sorgerecht, weil die Väterrechte gestärkt worden.

Marlene: Es ähnelt teils einem gruseligen Thriller, was die Frauen mir erzählen. Als ich hier vor ein paar Jahren anfing, konnte ich die Frauen an einer Hand abzählen, die mit einer krassen und komplexen Geschichte kamen. Das ist jetzt viel häufiger der Fall.

Wie lang sind die Frauen meist bei euch und was passiert danach?

Sandra: Manche Frauen brauchen nur ein paar Tage, um zur Ruhe zu kommen und gehen dann wieder. Manche bleiben mehrere Monate und andere sind auch ein halbes Jahr bis ein Jahr bei uns. Eine Frau mit hohen Schufa-Einträgen, vielen Kindern und keinen bis wenig Deutschkenntnissen, ist auch nicht so leicht zu vermitteln. Wir haben allerdings den Vorteil, dass der Wohnungsmarkt bei uns okay ist. In anderen Großstädten gibt es teils das Problem, dass die Frauen zwei Jahre in der Einrichtung bleiben, weil keine passende Wohnung zu finden ist.

Marlene: Nach dem Auszug ist immer noch eine Nachsorge und ambulante Beratung möglich und wir haben zusätzlich eine Selbsthilfegruppe, die von einer ehemaligen Betroffenen geleitet wird. Man muss auch wissen: Die Frauen suchen oft mehrmals Schutz bei uns. Im Schnitt braucht es sieben Jahre, bis eine Frau sich von dem Mann, der ihr Gewalt antut, lösen kann.

Wenn ihr euch etwas für das Frauenschutzhaus wünschen könntet, was wäre das?

Sandra: Eine bundeseinheitliche Finanzierung der Mietkosten für die Frauen.

Marlene: Nach wie vor fehlt es auch an Personal in Magdeburg. Wenn wir uns mit kleineren Häusern vergleichen, ist der Personalschlüssel fast identisch, wir haben nur viel mehr Frauen.

Sandra: Kleine Häuser haben beispielsweise vier Plätze, die von zwei Vollzeitkräften betreut werden. Das ist der Grundbedarf. Für jeden weiteren Platz, den man dazu bekommt, folgt eine geringere Aufstockung an Personal. Pro Platz gibt es exakt 0,125 Personalstellen.

Marlene: Das heißt für uns, wir haben zwei Kolleginnen in der Beratungselle und drei Kolleginnen in Vollzeit im Frauenschutzhaus sowie eine Kollegin für die Kinder. Uns fehlt eigentlich auch noch eine Person, die sich um Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit kümmern kann.

Und was denkt ihr, wünschen sich die Frauen im Haus am meisten?

Beide (lachend): WLAN!

Wie reagiert das Umfeld auf Frauen mit häuslicher Gewalterfahrung?

Sandra: Behörden und Ansprechpartner:innen sind mittlerweile sensibler geworden.

Marlene: Ja, aber das betrifft hauptsächlich Menschen, die irgendeinen Berührungspunkt mit dem Thema hatten. Viele können sich nicht vorstellen, dass so eine Gewaltbeziehung ein schleichender Prozess ist und werfen den Frauen vor, sie hätten früher gehen sollen. Sie verstehen nicht, warum die Frauen das so lange mitgemacht haben. Aus dem Familien- und Freundeskreis der Betroffenen kommen dann eher so Sachen wie ‚das gehört halt dazu‘.

Marlene: Zu mir kommen auch Frauen in die Beratung, die ein schickes Reihenhaus hatten, die sich dann mit den Vorwürfen konfrontiert sehen, sie hätten das Glück der Familie zerstört.

Warum wird das Leid der Frauen so wenig gesehen?

Sandra: Die Männer können sich in der Regel nach außen gut verkaufen. Sie können gut sprechen und überzeugen das Umfeld von ihrer Unschuld. Die Frauen werden meistens als psychisch krank bezeichnet. Das ist einer der am schnellsten gesagten Sätze von gewalttätigen Männern, um ihre Frauen als nicht zurechnungsfähig darzustellen. 

Marlene: Die Männer, um die es da geht, sind häufig auch sehr beliebt und haben einen guten Ruf. Niemand kann sich vorstellen, dass sie im Privaten so sind, wie sie sind.

*Die Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.

Frauenschutzhaus Magdeburg

Zufluchtsort für Frauen und Kinder, die von psychischer oder physischer Gewalt betroffen sind.

Tel.: 0391/55720114

Mobil: 0152/23426634

Öffnungszeiten Frauenberatungsstelle

(berät auch Frauen mit Beeinträchtigung)

montags bis donnerstags: 9-17 Uhr

dienstags: 8-12 Uhr

Termine nach Vereinbarung.

Olvenstedter Platz 1

Tel.: 0162/5302740 oder 0176/62822880

frauenberatung-md@rueckenwind-ev.de

Angebot:

  • Beratung bei häuslicher Gewalt und Stalking sowie zu Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetztes.
  • Begleitung bei Behördengängen, zu Ämtern, zur Polizei und zum Gericht.
  • Beratung und Information für Fachkräfte.

Selbsthilfegruppe für Frauen die häusliche Gewalt erlebt haben

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold

Hier können Betroffene offen über das Erlebte sprechen und es verarbeiten. Ziel ist es, im Alltag die Angst und den Scham zu reduzieren und das Selbstwertgefühl zu steigern.

E-Mail: schweigenistsilber-redenistgold@gmx.de (Tabea Ciszek)

Solidarische Frauenhilfe Magdeburg

Selbsthilfegruppe für gewaltbetroffene Frauen

E-Mail: frauenberatung-md@rueckenwind-ev.de

Tel.: 0176/62822880

Instagram: @solidarische_frauenhilfe_md

Spendenaufruf

Wir finden, jede Frau sollte den Zugang zu einem Frauenschutzhaus haben, unabhängig von ihren finanziellen Mitteln. Doch die Kosten für einen Tag im Frauenschutzhaus Magdeburg liegen bei mindestens 19,49 Euro. Frauen, die bereits Hilfeleistungen empfangen, bekommen diesen Beitrag bezahlt, alle anderen Frauen jedoch nicht. Um darauf aufmerksam zu machen und ein Überdenken dieser Entscheidung in der Politik anzustoßen, rufen wir hiermit zu einer Spendenaktion auf. Wir freuen uns, wenn ihr euch daran beteiligen könnt.

Kontoinhaber: Rückenwind e. V. Bernburg
IBAN: DE02 8106 9052 0300 7444 84
Swift-BIC: GENODEF1WZL
Bank: Volksbank Börde-Bernburg eG
Verwendungszweck: Spende Wohnkosten Frauenhaus Magdeburg