Erst der Schmerz, dann das Glück

Träume muss man leben, dachte sich Erin und begann mit vierzig eine Ausbildung zur Tätowiererin. Heute hat sie ein eigenes Tattoostudio und empowert Frauen.

Erin Mallory-Floegel fand Tattoos schon als Kind toll und wollte immer eines haben, wenn sie einmal groß ist. Den Wunsch hat sie sich mit 18 Jahren auch erfüllt – ihr erstes Tattoo war eine Kette am Fußgelenk. „Das war so schmerzhaft, dass ich in Ohnmacht gefallen bin und mir erst mal zehn Jahre kein Tattoo mehr stechen lassen habe.“, erzählt sie mit charmant amerikanischem Akzent. Erin ist in den 1970er Jahren in Amerika geboren, wuchs aber in vielen verschiedenen Ländern auf. Ihr Vater arbeitete als US-Navy-Offizier, wodurch sie alle zwei oder drei Jahre in ein anderes Land zogen. Ihre letzten Schuljahre und die Zeit des Studiums verbrachte sie in Griechenland. Sie studierte dort Kunst und arbeitete als professionelle Taucherin. 1998 zog sie der Liebe wegen nach Magdeburg. Das war für Erin als Künstlerin, die direkt vom Mittelmeer kam, nicht leicht. Doch sie mochte die Menschen und nach ein paar anstrengenden

Jahren, in denen sie mühsam versuchte, das Land zu verstehen, konnte sie sich nicht mehr vorstellen wegzuziehen. Magdeburg ist für sie eine ehrliche Stadt. „Das passt gut zu mir. Die Leute sagen dir, wenn sie dich nicht mögen, aber sie sagen dir auch, wenn sie dich mögen.“, sagt die heute 50-jährige, wenn sie reflektiert, warum sie in Magdeburg geblieben ist. Die ersten Jahre in Deutschland hat sie als Sprachlehrerin gearbeitet. Daran hatte sie lange Freude bis sie eines Tages aufwachte und keine Lust mehr hatte, zur Arbeit zu gehen. Ihr fehlte der kreative Part in ihrer Arbeit. Für sie waren es die immer gleichen Abläufe. Sie langweilte sich. Das war der Startschuss, ihre Leidenschaft für Tattoos zum Beruf zu machen.

Doch wie kommt man zu einer Ausbildung als Tätowiererin? Erin tingelte als 40-jährige durch die Läden der Stadt, die ihr gefielen, fand aber kein Studio, das sie ausbilden wollte. So entschied sie sich, Seminare, Workshops und Weiterbildungen in der ganzen Bundesrepublik zu besuchen, bis sie sich sicher genug fühlte, einen eigenen Laden zu eröffnen. Ein paar Jahre später war es dann so weit. Heute ist sie seit acht Jahren stolze Inhaberin von Blood Sisters, eines der wenigen Tattoostudios, das nicht nur von einer Frau geführt wird, sondern in dem bisher fast ausschließlich Frauen ausgebildet wurden und arbeiten. Sie möchte den Frauen die Freiheit geben, sich zu entwickeln und ihren eigenen Stil zu finden.

Tattoos eröffnen für Erin einen Zugang zu Kunst und Kultur, der jedem Menschen offensteht. Deshalb findet sie es schade, dass ihre Arbeit in Deutschland nicht als anerkannter Beruf gilt. Dabei hat jede fünfte Person in Deutschland ein Tattoo. „Ein Tattoo kann dein Leben verändern. Es kann für einen Neuanfang oder für einen Abschluss stehen. Tattoos können sogar eine therapeutische Wirkung haben.“, so Erin. Bis zu zehn Stunden sitzt Erin teils an einem Kunstwerk. Durch diese enge Verbindung öffnen sich die Menschen ihr gegenüber. Manchmal werden ihr von ihren Klient:innen dadurch Dinge anvertraut, die diese zuvor niemandem erzählt haben.

Generell schätzt die Kundschaft, die sich bei Blood Sisters übrigens aus mehr Männern als Frauen zusammensetzt, die ausgiebige Beratung und sanfte und mitfühlende Behandlung. Es kommt im Studio allerdings auch immer wieder zu Vorfällen, die einen respektvollen Umgang vermissen lassen. Gerade Männern fehlt es manchmal an Anstand, sagt Erin. Sei es bei der Bewerbung, in der davon ausgegangen wird, dass ein cooles Auftreten reicht, um an den Job zu kommen oder Ausdrücke wie „Mäuschen“ als Bezeichnung für ihre Person. Immer wieder stehen auch Männer in ihrem Laden, die sich einen Reichsadler, Hakenkreuze oder Runen von ihr tätowieren lassen wollen. Doch Erin weiß sich zu wehren. Sie schickt Kundschaft, deren Haltung sie unvertretbar findet, wieder vor die Tür. Kann das gefährlich werden? „Na klar“, sagt sie, „mein Auto wurde schon abgefackelt, aber heißt das, dass Frauen keinen Respekt verdienen? Ich finde, wir müssen trotzdem dafür einstehen. Es gibt keine Änderung, wenn nicht auch eine Gefahr in Kauf genommen wird.“ Erin möchte ihr Leben so leben, wie es ihr gefällt und steht lautstark dafür ein. Sie ermutigt auch jüngere Frauen, für ihre Rechte zu kämpfen.

Ein Text von Kristin Plumbohm

Erin Mallory-Floegel

Sie ist ein absoluter Workaholic und bezeichnet sich selbst als Misanthropin, weil sie ein bisschen von der Menschheit enttäuscht ist. Sie trinkt Unmengen an Kaffee, kann vorlaut und streng sein. Aber vor allem hat sie immer gemacht, was sie wollte. Mit ihrer alternativen Lebensweise fühlte sie sich oft als Außenseiterin und fand ihre Heimat in der Künstler:innen-Szene. Hier wird sie so akzeptiert, wie sie ist. Erin hat einen erwachsenen Sohn, mit dessen Freunden sie sich genauso gut versteht wie mit Menschen jenseits der 60. Von ihrem Mann, für den sie nach Deutschland kam, lebt sie mittlerweile getrennt, doch die beiden verbindet eine tiefe Freundschaft. Außerdem hat sie einen grünen Daumen und ein Geschick für Inneneinrichtung, wie sie mit ihrem Tattoostudio unter Beweis stellt.

Erin Mallory-Floegel
Foto: Kristin Plumbohm