Es geht um die Taten, nicht um die Menschen

Rechtsanwalt Dr. Thomas Klaus setzt sich seit mehreren Jahrzehnten für den Opferschutz ein und erklärt, welche Baustellen es dort gibt und warum bereits das Stellen einer Strafanzeige sehr heilsam sein kann.

Ist es immer sinnvoll, eine Strafanzeige nach einem sexuellen Übergriff zu stellen und wie läuft eine Beratung beim Anwalt ab?

Wir spielen das mal durch. Also es kommt jemand zu mir und sagt, dass er eine

Strafanzeige erstatten möchte. Dann muss man natürlich bewerten, was das an Aufwand mit sich bringt. Das ist kein Spaziergang, da braucht man sich überhaupt nichts vormachen. Aber ich habe in meiner Praxis schon genügend Menschen gesehen, die so lange Zeit damit gehadert haben, ob sie eine Anzeige stellen sollen und sich immer wieder gefragt haben, was da gewesen ist und warum das nicht aufgeklärt wurde. Und diese Erfahrung, dass viele Menschen quasi ihr Leben lang etwas Unbearbeitetes mit sich herumtragen, die hat mich zu der Erkenntnis geführt, dass ich jedem, der nicht von sich sagen kann, dass er mit dem Geschehenen okay ist, empfehle eine Strafanzeige zu stellen. Der Punkt ist, dass es dann offiziell entschieden ist. Das ist für die meisten Leute sehr bedeutsam, unabhängig vom Ergebnis. Meine Erfahrung ist auch, dass bisher fast nie ein Opfer zu mir kam und gesagt hat: ‚Ich will, dass der jetzt für ewig ins Gefängnis geht.‘ Also sprich, was da für eine Sanktion rauskommt, das interessiert die Menschen mehr oder weniger gar nicht. Sie möchten, dass sich jemand dafür entschuldigt oder dass jemand das Unrecht sieht und als solches benennt.

Okay, auf was muss ich mich einstellen, wenn ich mich für eine Strafanzeige entscheide?

Arbeitsgrundlage ist bei mir immer, dass das, was mir erzählt wird, auch dementsprechend wahr ist. Aber mit dem Zeitpunkt, ab dem man sich als Person, der ein sexueller Übergriff passiert ist, für eine Anzeige entschließt, bekommt man von der Justiz den Stempel Lügner aufgedrückt. Das darf sogar jeder im Gerichtssaal sagen. Der Bundesgerichtshof hat Ende der 1990er festgestellt, dass bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung zu gelten hat und daraus wurde abgeleitet, dass derjenige, der die Beschuldigung erhebt, erst mal mit der Vermutung ausgestattet ist, das er lügt. Das ist bis heute so. Dass man Menschen, die auch ein Persönlichkeitsrecht haben, von Staats wegen sagt, wir gehen davon aus, dass du lügst, das wird den Menschen meines Erachtens nicht gerecht. Der Fokus liegt also sehr auf dem potenziellen Täter. Ja. Mit wem auch immer ich über das Thema rede. Jeder sagt als erstes, wir wollen nicht, dass jemand zu Unrecht bestraft wird. Das will ich natürlich auch nicht, wo käme ich da hin? Ich verurteile zudem die Taten und nicht die Menschen. Aber in dem großen Maße, in dem wir aktuell nicht in der Lage sind Taten abzuurteilen, schaffen wir es am Ende nicht, Gerechtigkeit zu schaffen. Da müssten die Aufklärungsquoten viel höher sein und wir haben Deliktsbereiche, wo wir gar keine Aufklärung hinbekommen. Das betrifft Kinder unter drei Jahren. Wenn der Täter nicht gerade DNA-Spuren hinterlässt oder eine Videoaufzeichnung anfertigt, ist da nichts zu machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir am anderen Ende der Altersskala das gleiche Problem haben. Das bedeutet auch, dass die Menschen, die den Schutz mitunter am allernötigsten hätten, überhaupt nicht geschützt sind.

Neben ihnen gibt es nur eine weitere Opferanwältin in der Stadt. Warum ist das so?

Weil es einfach nicht cool genug ist (lacht), aber der andere Grund ist auch, dass man nur von der Tätigkeit des Opferanwalts schwerlich leben kann. Zwar sind die Vergütungen bei der Tätigkeit im Strafverfahren denen des Verteidigers angeglichen. Aber da, wo ein Verteidiger von einer Einstellung des Verfahrens zusätzlich durch Gebührentatbestände profitiert, verkürzen sich die Einnahmen für mich als Opferanwalt. Und in Sachsen-Anhalt wird jedes zweite Strafverfahren, das wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geführt wird, von der Staatanwaltschaft eingestellt, weil diese einen Tatnachweis nicht für möglich erachtet. Damit liegen die Einstellungszahlen hier sogar noch 10 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Ein anderer Aspekt ist, dass bestimmte Handlungen, wie etwa die Beantragung von Kontakt- und Annäherungsverboten nach dem Gewaltschutzgesetz nicht kostendeckend zu bearbeiten sind.

Welche Situation muss gegeben sein, damit der Staat für die Gerichtskosten bei der Anklage einer Vergewaltigung aufkommt?

So richtig vorausschauen kann man das nicht. Man braucht einen ermittlungsfähigen Ansatz und das ist eine Bewertungsfrage, dafür gibt es keinen Leitfaden, bei dem man sagen kann, das muss vorliegen, um es sicher festzustellen. Das ist eine Zwickmühle und ein Beispiel dafür, welches zeigt, wie viele Sachen im Opferschutz nicht ausgegoren sind. Oft bleibt nur die Unterstützung durch Dritte, wie den Verein Weißer Ring, wenn das Tatopfer zur Tragung der Kosten nicht in der Lage ist. Es ist übrigens auch keine gute Option, zu warten, bis man eine Zeugenladung zu einem Gerichtsverfahren erhält und damit weiß, dass es zur Anklage gekommen ist. Dann bleibt regelmäßig zu wenig Zeit, um noch einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen und die Hauptverhandlung zur Aufarbeitung der erlittenen Tat nutzen zu können.

Trotz all der Probleme lohnt es sich die Tat anzuzeigen?

Ich meine ja. Man sollte aus dem Umstand, dass die Justizverwaltung so zurückhaltend ist und so viele Menschen ungestraft davonkommen lässt, nicht den Schluss ziehen, dass man besser gar nicht erst anzeigt. Sondern eher umgekehrt. Denn auch jede einzelne Anzeige weist auf das große Problem sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft hin. Und wenn in Sachsen-Anhalt wie erwähnt jedes zweite Verfahren eingestellt wird, so ist dies natürlich kein Beleg dafür, dass nur jede zweite angezeigte Tat überhaupt passiert ist. In mehr als 20 Jahren des Opferanwalts ist mir kein Fall erinnerlich,in welchem festgestellt worden wäre, dass die angezeigte Tat überhaupt nicht passiert sein kann oder gar, dass die Tat wider besseres Wissen angezeigt wurde. Klar, wenn Sie zu mir kommen und fragen, ob der Täter am Ende bestraft wird, dann kann ich das nie versprechen. Aber was ich jedem versprechen kann ist, dass er keine Angst haben braucht und wir das gemeinsam hinkriegen. Das verspreche ich aber nur, weil ich denke, dass ich das immer einhalten kann.

Interview: Kristin Plumbohm

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Kurzer Handlungsleitfaden:

  1. Die Opferhilfe berät unabhängig von der Erstattung einer Strafanzeige kostenfrei, streng vertraulich sowie auf Wunsch auch anonym.
  2. Mögliche Verletzungen sollten am besten medizinisch oder therapeutisch behandelt werden. Die Gewaltopferschutzambulanz bietet eine „gerichtsfeste“ Dokumentation bzw. Begutachtung der Verletzungen unabhängig von einer polizeilichen Anzeige an.
  3. Entscheide, ob du das Geschehene auf sich beruhen lassen, Anzeige erstatten, Schadensersatz beim Gericht einklagen oder eine Opferentschädigung beantragen möchtest. Dabei lass dich von einem Rechtsbeistand beraten. Das gilt auch, wenn die Tat in der Vergangenheit passiert es. Es ist nie zu spät, sich Hilfe zu holen.
  4. Wenn du dich entschieden hast, musst du den weiteren Weg nicht alleine gehen. Neben Rechtsanwält:innen gibt es die Beratungsstelle Wildwasser oder den Sozialen Dienst der Justiz, die hilfreich zur Seite stehen.

Rechtsanwaltskanzlei Dr. Thomas Klaus
Lübecker Straße 14
39124 Magdeburg

Tel.: 0391/5066766
E-Mail: post@klausanwaelte.de

Rechtsanwältin Petra Küllmei
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39104 Magdeburg

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