„Ich sitze immer wieder staunend vor Werken und denke mir: Wie kann man einen Satz formulieren, in dem so viel drinsteckt?“, sagt Annerose Busse. Bücher sind für sie eine große Bereicherung und ermöglichen ihr eine ungefilterte Reise zu sich selbst. Die 65-Jährige ist seit 2005 Inhaberin des Magdeburger Antiquariats in der Liebigstraße 6, in dem sie Bücher und Graphiken verkauft. Jeden Tag zaubert es ihr ein Lächeln ins Gesicht, wenn sie die Ladentür zu ihren geliebten Büchern öffnet. Die Atmosphäre des Raums und die Menschen, die zu ihr kommen, geben ihr viel und machen für sie den Tag rund. Oft vergisst sie dabei die Zeit.
Für Annerose Busse ist das Antiquariat eine Insel der Ruhe und Freude, die sie gerne mit ihrer Kundschaft teilt. Ihr ist es wichtig, dass alle Menschen Zugang zu ihren Büchern bekommen, egal wie es um ihr persönliches Budget oder sonstige Lebensverhältnisse steht. Die Antiquarin ist selbst in einer Großfamilie aufgewachsen, in der Geld und Zeit stets knapp waren. Schnell lernte sie als junges Mädchen für sich Verantwortung zu übernehmen und bekam dabei auch Unterstützung von außen. Noch heute schwärmt sie von ihren Lehrerinnen, die sie gefordert und gefördert haben. Bis zu deren Tod hatte sie einen engen Kontakt zu ihnen. „Die finanzielle Lage meiner Familie hat mich in Situationen gebracht, die mich klein machten. Meine Lehrerinnen haben mich gestärkt. Sie haben mir etwas zugetraut und sind immer wertschätzend mit mir und meinen Eltern umgegangen.“, erzählt sie von der für sie prägenden Erfahrung. Ein respektvoller Umgang mit ihren Mitmenschen ist ihr bis heute wichtig, auch gegenüber Sammler:innen, die oft mit großer Liebe und Leidenschaft auf ihre Bücher schauen. „Wie eine Seelenwanderung fühlt es sich dann an, diese Bücher zu übernehmen.“, sagt die Antiquarin. Sie erinnert sich noch an einen Ankauf vor zehn Jahren. Der Sammler war gestorben und seine Frau ebenfalls schwer krank, deshalb wollte sie die Sammlung ihres Mannes vor ihrem Tode in guten Händen wissen. Die Liebe, die in dieser Sammlung steckte, berührte Annerose Busse sehr. Sie war so erfüllt von den Büchern und Grafiken des Mannes, dass sie kaum mehr als ein paar Stunden Schlaf in der Nacht fand. Mehrere Tage verbrachte sie in dem Haus des Paares und nahm dabei einen Teil dessen Lebens auf und mit sich.
„Wie oft habe ich meine Bücher in den Händen und streichle sie, weil ich sie so schön finde.“, gesteht sie. Gerade erst hat die Antiquarin wieder eine Sammlung von vielen tausend Büchern angekauft. Die nächsten fünf Jahre bleibt sie ihrem Job deshalb auf jeden Fall treu. Doch was danach passiert, ist noch nicht klar. Für Annerose Busse ist der Laden wie ihr Kind. Sie möchte das Beste für ihn und fände es schön, wenn er weitergeführt wird, aber nicht um jeden Preis. Für sie ist es ein Grundsatz gute und anspruchsvolle Literatur in den Umlauf zu bringen. „Heute sind geschriebene Bücher oft oberflächliche Unterhaltung, die keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.“, findet Frau Busse. Die alten Werke haben für sie hingegen das Potenzial zu einer Entdeckung zu werden, die für Gänsehaut sorgt.
Wenn man Annerose Busse über Bücher sprechen hört, ist es kaum vorstellbar, dass sie beruflich ursprünglich gar keine Buchhändlerin werden wollte. Ihr Plan A war es auf Lehramt zu studieren. Doch daraus wurde nichts, weil ihr der Studienplatz in der DDR verweigert wurde. „Damit fiel für mich eine Welt zusammen. Ich hatte nie etwas anderes in Betracht gezogen.“, erzählt sie rückblickend. Doch sie ließ sich nicht unterkriegen. Da ihr das Lesen viel Freude bereitete, bewarb sie sich kurzerhand auf eine Ausbildungsstelle als Buchhändlerin und bekam den Job. Die Begeisterung ihres Chefs und die Leidenschaft der Kund:innen haben sie dann in den Bann der Bücher gezogen.
Als sich mit der Wende der Volksbuchhandel auflöste und die Buchhandlungen privatisiert wurden, stellte das ihren damaligen Chef vor große Herausforderungen. Konnte er seine Mitarbeiterin finanziell weiter tragen? Annerose Busse entschied sich freiwillig für eine Kündigung, um diese Sorge von ihrem Chef abzuwenden, auch wenn es ihr sehr schwerfiel, den Entschluss in die Tat umzusetzen. Bis heute ist sie sich trotz dessen sicher, dass ihre Entscheidung genau die richtige war. „Wenn wir offen und neugierig bleiben, Freude am Entdecken haben und vorwärtsschauen, dann gibt es für alles die richtige Zeit.“, sagt sie. Und so fand das Antiquariat auch wieder zu ihr oder andersherum. Im Jahr 2005 verabschiedete sich ihr ehemaliger Chef in den Ruhestand und bot ihr an, das Geschäft zu übernehmen. Annerose Busse fertigte sich eine fein säuberliche Pro- und Kontra-Liste an, um eine Entscheidung zu treffen. Sollte sie das Antiquariat übernehmen? Das Ergebnis war zunächst recht klar: Die Kontra-Punkte überwogen. Doch dann schaltete sie Herz und Seele ein und das Resultat war wieder eindeutig und diesmal unumstößlich: Das Geschäft wird übernommen! „Mein Mann meinte zu mir: ‚Du hast dir das Antiquariat damals aus dem Herzen gerissen. Hol es dir wieder!‘ Da kam mein Lächeln zurück und es ist bis heute geblieben.“, berichtet sie.
Vor ein paar Jahren dachte Annerose Busse dennoch, dass das Antiquariat keine Zukunft hat. Ihre Kundschaft war älter als sie selbst. Doch dieser Zustand hat sich gedreht. Jetzt kommen im großen Umfang junge Menschen zu ihr, auch aus Nachhaltigkeitsgründen. „Sie mögen es, dass die Bücher schon ein Leben hatten und lassen sich gerne von mir beraten.“, freut sich Frau Busse. Selbst wenn die Ladentür des Antiquariats am Ende des Tages schließt, heißt das für Annerose Busse nicht, dass ihre Liebe zum Buch ruht. Für sie gibt es nichts Schöneres als in ihrer Freizeit mit einem Gläschen Weißweinschorle und einem guten Buch in andere Welten zu versinken. Viele Bücher liest sie gerne immer wieder. Denn manche Wortschätze scheinen sich erst zu entfalten, wenn die Zeit dafür reif ist, findet sie.
Text: Kristin Plumbohm