… und sie bewegt dich doch

Stundenlange Sitzungen, hitzige Diskussionen, jede Menge Anträge zum Schreiben und Lesen – ein Engagement als Stadträtin ist nicht ohne. Drei Stadträtinnen aus Magdeburg erzählen, wie sie die Geschehnisse in der Stadt mitprägen.

Was macht ein Stadtrat?

Der Stadtrat ist die Versammlung der gewählten Vertreter:innen einer Stadt. Denn nicht immer können alle Bürger:innen nach ihrer Meinung gefragt werden, wenn es um Veränderungen im Stadtgeschehen geht. Der Stadtrat stimmt zum Beispiel ab, wie das Geld der Stadt genutzt werden soll und bringt dazu auch eigene Vorschläge ein. Die Mitglieder des Stadtrates üben die Arbeit ehrenamtlich aus. Sie sollen durch ihr kommunalpolitisches Engagement aber keine beruflichen und finanziellen Nachteile haben. Ihnen werden deshalb verschiedene Schutz- und Entschädigungspositionen eingeräumt, beispielsweise dürfen sie in der Zeit des Engagements nicht gekündigt werden und müssen für ihre Aufgaben im Stadtrat freigestellt werden.

Madeleine Linke

Madeleine kommt aus einem sehr unpolitischen Haushalt, wie sie selbst sagt. Politisiert hat sie im Studium ein Vortrag von Nico Paech. „Für mich ein Guru der Postwachstumsökonomie“, schwärmt die heutige Stadträtin und Fraktionsvorsitzende der Grünen. Durch seinen Vortrag fühlte sie sich motiviert, sich für die Grüne Hochschulgruppe zu engagieren, um an positiven Veränderungen mitzuwirken. Die Idee Stadträtin zu werden wurde ihr dann nach und nach von Personen unterschiedlicher Parteien zugetragen, bis sie neugierig genug war, sich das einmal näher anzusehen. Bevor sie die Aufgabe übernahm, brachte sie sich als sachkundige Einwohnerin im Stadtrat ein.

Hier hapert es noch:

Die Digitalisierung der Stadtverwaltung schreitet zu langsam voran. Außerdem wünsche ich mir von der Verwaltung mehr entgegenkommen, eine Form von Ermöglichungskultur.

Das läuft gut:

Es gibt jetzt eine Redezeitbegrenzung für die Fraktionen. Was gut ist,
damit sich Redebeiträge nicht unnütz in die Länge ziehen. Bestimmte Akteure im Stadtrat reden sehr lange und wiederholen sich.

Beleidigungen sowie sexistische und rassistische Äußerungen werden im Stadtrat gerügt. Das ist auch sehr nötig, denn es passieren immer wieder persönliche Angriffe.

Madeleine Linke
Foto: Harald Krieg (Korrektur NachOben)

Die Mitarbeit in Vereinen, Bündnissen und Netzwerken ist Madeleine als Stadträtin wichtig. Hieraus zieht sie ihren Input für Antragsideen für ihre Arbeit im Stadtrat. „Man kann ja nicht Politik im luftleeren Raum machen“, sagt sie. Auch ihre Social Media-Profile sind für sie ein wichtiges Element. Viele Hinweise von Bürger:innen erreichen Madeleine über diesen Weg. Allerdings ist sie dadurch auch verstärkt Hasskommentaren ausgesetzt, die sie jedoch konsequent zur Anzeige bringt.

Madeleine hat durch ihr Engagement im Stadtrat an Selbstbewusstsein gewonnen, aber auch ihre Frustrationsgrenze erhöht, sagt sie. Am meisten mag sie es, mit den Bürger:innen Ideen zu besprechen, Anträge zu schreiben und sie zu verteidigen sowie Diskussionen zu führen. Zu einem wichtigen Werkzeug hat sich dabei ihre Kleidung entwickelt: „Ich achte sehr darauf, was ich anziehe. Meine Kleidung ist meine Rüstung und ich merke, dass ich dadurch, gerade als Frau, ernster genommen werde. Auch wenn ich weiß, dass das blöd klingt und eigentlich nicht so sein sollte.“

Nadja Lösch

In der ersten Klasse stand in ihrem Zeugnis „Vertritt ihre Meinung, lässt aber auch andere gelten“, erinnert sich Nadja und meint, das spiegelt sie politisch gut wider. Schon ihre Eltern haben ihr ein starkes Gemeinschaftsgefühl mit auf den Weg gegeben. Ihre Großeltern erzählten ihr fantasievolle Geschichten à la Robin Hood und Klaus Störtebeker. Hängen blieb bei Nadja: gegen Ungerechtigkeiten muss ich was tun.

Nadja Lösch
Foto: Kristin Plumbohm

Hier hapert es noch:

Es fehlt eine Kinderbetreuung während der Sitzungen. Es gibt zwar Geld für Babysitter, aber auch dieser muss organisiert werden und sehr flexibel abrufbar sein.

Die Teilnahme an Ausschuss- und Stadtratssitzungen sollten auch online möglich sein.

Das läuft gut:

Innerhalb der eigenen Fraktion fühle ich mich sehr wohl.

Aktiv in die Politik begab sich Nadja aber erst vor ein paar Jahren. Sie trat in die Linkspartei ein. Zu dem Zeitpunkt war sie gerade mit ihrem zweiten Kind in Elternzeit und die Welt schien ihr im permanenten Unruhezustand zu sein. Brexit, Trump,…die Entwicklungen beunruhigten Nadja zunehmend. Sie wollte etwas tun und die Politik mitgestalten, sich inhaltlich einbringen und Menschen mit Kindern eine Stimme geben.

Durch ihr jetziges Engagement als Stadträtin erfährt sie mehr Selbstwirksamkeit und freut sich über die vielen kleinen Erfolge, die sie mit ihren Ideen bisher erringen konnte, dazu gehört u. a. ihr Antrag zur gendergerechten Sprache in offiziellen Dokumenten der Stadt.

Im Stadtrat an sich fällt ihr auf, dass Frauen einen kleineren Redeteil beanspruchen und wenn sie reden, schneller auf den Punkt kommen. „Es hagelt auch eher Kritik, wenn wir als Frauen sprechen. Ich denke, da spielen schneller Egos eine Rolle. Ich empfinde das allerdings fast als normal, dass es anders zählt, wenn Männer etwas sagen und das ist furchtbar“, resümiert sie.

Zeitlich ist das Engagement als Stadträtin für Nadja herausfordernd. Zudem ist sie auch Fraktionsvorsitzende ihrer Partei. Ihr politischer Einsatz bedeutet für sie im Privaten viel Organisationsarbeit mit ihrem Mann und dann kommen noch Klischees hinzu: „Bei den ersten Fraktionssitzungen wurde immer gefragt, wo denn meine Kinder jetzt wären. ‚Keine Ahnung‘, sagte ich. Ich habe die Tür zu Hause zugemacht und bin gegangen“, erzählt sie. Wohlwissend, dass diese Frage bei Familienvätern im Stadtrat nie gestellt wird.

Julia Brandt

Schon Julias Eltern waren passionierte Wahlkämpfer:innen für die SPD. Des Öfteren entstanden am sonntäglichen Frühstückstisch der Familie hitzige politische Diskussionen, die über Stunden andauern konnten. Für politische Themen setzt sich Julia auch früh außerhalb des Elternhauses ein. Sie scheut als Kind nicht davor zurück, Lehrpersonal für schlechten Unterricht zu kritisieren und wusste sich als Schülersprecherin für die Demokratie einzusetzen. Wie Politik funktioniert, sollten alle wissen, findet sie. „Denn so wird auch klar, welche Hebel es zu bewegen gibt, wenn mich etwas stört“, sagt Julia. Als Stadträtin versucht sie durch die Zusammenarbeit mit Gruppen aus der Gemeinwesenarbeit (GWA) und Vereinen rauszufinden, wo der Schuh drückt und daraus Anträge zu entwickeln.

Hier hapert es noch:

Es fehlt mir eine Augenhöhe zwischen Stadtrat undVerwaltung. Ich plädierezum Beispiel für eine Verkehrswende und würde mirwünschen, dass da mehrausprobiert wird.

Debatten während derStadtratssitzung laufen fürmich manchmal nicht an derSache entlang.

Es fehlen Betreuungsangebote für Kinder während der Sitzungen.

Das läuft gut:

Die Verwaltung macht auch viele Dinge gut. Leider kommen sie nur zu wenig zur Geltung.

Julia Brand
Foto: Kristin Plumbohm

Julia liebt an ihrem Engagement, die Dinge zu hinterfragen und bewusst etwas tun zu können, um wichtige Projekte voranzubringen sowie mit anderen Stadträt:innen in Diskussion zu treten. Die Zusammenarbeit mit einigen Männern im Stadtrat empfindet sie allerdings als schwierig. „Ich habe den Eindruck, dass ein paar Männer den Posten im Stadtrat eher besetzen, weil sie ihn cool finden. Und Frauen eher dabei sind, weil sie etwas bewegen wollen“, erklärt sie.

Oft sitzt Julia als einzige Frau in den Ausschüssen in denen nochmal gesondert über spezifische Themen gesprochen wird. Julia ist unter anderen stellvertretende Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, sitzt im Ausschuss für Familie und Gleichstellung sowie im Betriebsausschuss des Puppentheaters. Sie findet, es mache bereits einen Unterschied, dass sie dort als Frau dabei ist, auch weil sie hier und da noch einmal anders auf die Dinge schaut.