Das nackte Ich

Nicole Zacharias schreibt und spricht auf Instagram unter anderem über Feminismus, Elternschaft und Schönheitsideale. Die Akzeptanz ihres eigenen Äußeren ist dabei immer wieder Thema.

Wann ist ein Mensch für dich schön?

Eine Person, die von innen strahlt, die herzlich, witzig ist und vor allem eine, die moralisch handelt, das ist für mich ein schöner Mensch. Früher war ich da eher oberflächlich. An einem Menschen hat mich zuallererst das Äußere interessiert. Ich habe viele Sachen nicht gesehen, Menschen unfassbar verletzt…doch irgendwann merkst du, du bist selbst so eine verletzte Seele. Wenn dir dann bewusst wird, dass du obwohl du selbst ein Opfer bist, ebenso Täterin bist, dann wächst das Bewusstsein für die wirklich wichtigen Dinge…und so entsteht Empathie und der Wunsch danach, sich mit seinen eigenen Dämonen und den Folgen für andere auseinanderzusetzen.

Wie stehst du zu Schönheitsidealen?

Heute bewerte ich Schönheitsideale viel kritischer also noch vor ein paar Jahren, da mir bewusst geworden ist, was deren Ursprung und Zweck ist. Mir ist klar geworden, wie gefährlich sie sind, wie sehr sie uns schaden und vor allem hemmen. Dennoch lasse ich mir ein bis zwei Mal im Jahr Hyaluron in die Lippen spritzen und die Nasiolabialfalten unterspritzen… Versteh mich nicht falsch, ich stehe dazu, aber ich möchte andere Menschen nicht damit beeinflussen. Ich spreche gern und sehr offen darüber, wenn mich jemand fragt, aber ich möchte mich nicht hinstellen und dafür werben, dass ich beispielweise meine Lippen machen lassen oder mir die Stirn hab botoxen lassen. Ausnahmslos alle meine Eingriffe sind vom gängigen toxischen Schönheitsideal beeinflusst. Ist ja nicht so, dass eine Frau sagt, sie hätte jetzt gerne eine schöne große Nase oder eine breite Flache – zumal eben genannte Nasen in einigen Kulturkreisen durchaus als Schönheitsmerkmal gelten – aber eben nicht in dem extrem vorherrschenden europäischen Schönheitsideal, das da heißt „weiß, schlank, volle Lippen, kleine Stupsnase“. Das ist auf sehr vielen Ebenen falsch und gefährlich, denn auch Rassismus spielt hier eine Rolle.

Wann hast du damit angefangen deinen Körper künstlich zu verändern und wie kam es dazu?

Mit 31 Jahren. Ich habe es immer wieder in den Medien gesehen und in meinem Freundinnenkreis war das ganz normal. Es war keinem bewusst, was das für Auswirkungen hat – nicht nur auf deinen Körper, sondern auch vor allem auf deine Psyche. Denn das Schlimme ist, wenn du mit Hyaluron, Botox oder welchen Sachen auch immer anfängst, ist es wahnsinnig schwer wieder damit aufzuhören. Nehmen wir mal an, du lässt dir die Falten wegspritzen, dann sind die natürlich erst mal weg, aber sie kommen wieder, weil der Effekt nachlässt. Das ist schwer auszuhalten und so gibt es selten ein zurück. Und je mehr man macht, desto mehr entfremdest du dich von deinem eigenen Gesicht, von deinem eigenen Ich.

Gab es einen Zeitpunkt an dem du dir dann schön genug warst?

Na immer noch nicht (lacht). Nein, ich finde mich schon schön. Ich finde, ich bin eine sehr attraktive Frau. Ich finde mich auch innerlich ganz schön schön. Ich mag mich selbst. Ich gehe mittlerweile auch mindestens so viel ungeschminkt raus, wie geschminkt. Das konnte ich nicht immer. Gerade in meiner Jugend hat mir Make-up nicht dazu verholfen mein Selbstbewusstsein zu pushen. Es hat mich eher gehemmt. Das war mir in dem Moment natürlich nicht direkt bewusst. Im Gegenteil, schließlich öffnete es mir Türen. Wenn du jedoch so früh anfängst dein heranwachsendes Gesicht zu verstecken, dann macht das sehr viel mit dir. Du veränderst dich tagtäglich so stark, dass du dein eigentliches Gesicht nicht mehr schön findest. Das ist wie mit den Filtern auf Instagram. Du machst den Filter zu deinem Gesicht und kannst somit dein wahres Gesicht nur noch schwer annehmen. Da sind dann plötzlich nur noch Makel zu sehen.

Aber du gehst ja auch durch die Straßen und siehst andere Menschen.

Ja, das ist ein guter Punkt. Der Unterschied zwischen den Bildern im Telefon, in Magazinen und den Menschen auf der Straße, der ist mir erst in den letzten Monaten so richtig bewusst geworden. Kein Mensch, wirklich kein Mensch, der mir auf der Straße über den Weg läuft, kein Mensch, mit dem ich meinen Alltag teile, sieht so aus, wie die Menschen auf Social Media.

Ich würde mich auch in Grund und Boden schämen, wenn ich meiner 5-jährigen Tochter erzählen müsste, was ich in meinem Gesicht schon hab machen lassen, weil mir dann bewusst wird, wie unfassbar überflüssig und bescheuert das alles ist. Versuch mal einem unschuldigen Menschen, der keinerlei Anspruch an dich hat, wie du auszusehen hast, das zu erklären. Es dimensioniert die Lächerlichkeit des ganzen ins Unermessliche. Ich habe ja schon Probleme mich in ihrem Beisein zu schminken, weil ich nicht weiß, wie ich ihr erklären soll, was ich gerade mache, ohne die Wörter schöner und hübscher zu nutzen. Ich möchte diesen Wörtern bei ihr kein Gewicht geben, auch wenn sie sie für mich aufgrund meiner Sozialisierung haben.

Wann fühlst du dich denn schön?

Heute finde ich mich schön und das ist nicht mehr daran gebunden, dass ich mich geschminkt oder eine Perücke aufgesetzt habe. Ich finde mich absolut schön genug, aber ich schminke mich auch gerne und ich bin immer noch ein Beautyopfer, da bin ich nicht raus. Hätte ich Kohle ohne Ende und müsste mich nicht vor meiner Tochter rechtfertigen, würde ich da schon noch etwas in meinem Gesicht machen lassen. Ich kann so sehr dagegen ankämpfen im privaten wie ich will, die Welt da draußen ist (noch) stärker.

Was denkst du könnte helfen, damit wir uns alle ein bisschen wohler in unserer Haut fühlen?

Das Ende von Social Media (schmunzelt). Nein. Wir stellen uns die Frage, was wir machen können, damit es uns besser geht. Das ist so eine fiese Frage. Na klar, können wir alle etwas netter zueinander sein und respektvoll miteinander umgehen und aufhören über Menschen zu urteilen, die nicht so aussehen, wie es uns gerade passt. Aber ansonsten gibt es diese riesige Beautyindustrie, die uns einfach mal alle in der Hand hat. Alle. Das fängt bei der Antifaltencreme an, geht über die das Öl gegen Cellulite und hört beim Aufruf zum kollektiven Abnehmen noch lange nicht auf. Wir können weiter dagegen ankämpfen und darüber reden, aber der patriarchale Einfluss ist einfach unfassbar groß, da vieles auch gar nicht bewusst abläuft und erkannt wird. Du kannst ja mal überlegen, wie oft du etwas machst, nur weil dir von außen suggeriert wird, dass das so sein sollte.