Die Seele auf Papier gebracht

Welche Wirkung Kunst haben kann und wie sie sogar zur Heilung von seelischen Verletzungen beiträgt, dazu spricht Künstlerin Fanny Oehmichen mit uns.

Was machst du gerade beruflich?

Im Moment bin ich noch viel Mutter. Ich arbeite aber auch als Kunsttherapeutin für eine Beratungsstelle für Migrant:innen in Sachsen-Anhalt. Das finde ich eine sehr schöne und sinnvolle Aufgabe. Durch den Mutterstatus habe ich gerade auch etwas mehr Raum mich im künstlerischen Bereich umzusehen. Wenn mich etwas beschäftigt und ich es künstlerisch verarbeiten möchte, dann kann ich mir die Zeit dafür immer nehmen.

Wie hat die Geburt deines Kindes deine Kunst beeinflusst?

Ich glaube, die Geburt meines Kindes hat mich zu einem ganz anderen Menschen gemacht. Dementsprechend agiere ich jetzt anders als Frau, auch im Job. Durch das Muttersein habe ich einen anderen Kontakt zu mir selbst. Mein Kind hat mir mit großer Klarheit gezeigt, wo meine eigenen Baustellen liegen. Muttersein hat aber auch viel Alltägliches und eine Gleichförmigkeit. Ich muss da gerade an das Aufhängen von Stoffwindeln denken. Es ist immer wieder der gleiche Prozess, unzählige Male.

Was braucht es denn, um gute Kunst zu machen?

Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt immer noch die Vorstellung von so etwas wie einem künstlerischen Genie, was in der Regel männlich ist und ein bisschen leicht verrückt und suchthaft ständig Wein reinzwirbelt, aber die genialsten Bilder malt. So einen Mythos gab es definitiv auch bei uns an der Kunsthochschule. Dabei hat das Leben als Künstler:in etwas mit Förderung und harter Arbeit zu tun, doch daran denken die wenigsten Menschen. Ich habe aus dem Studium auch mitgenommen, dass man von Kunst nicht leben kann. Immer wenn ich Berufskünstler:innen sehe, kann ich deshalb gar nicht glauben, dass es sie gibt.

Und das obwohl du selbst in diesem Bereich arbeitest?

Zeitgenössische Kunst war mal mein Zuhause, mittlerweile fühlt sie sich für mich eher befremdlich an. Denn die Kunst ist auch ein Geschäft und Kunst zu vermarkten ist ein Job für sich. Da zählt, in welchen Galerien man vertreten ist, wie das Ranking auf Artnet ist…und das soll dann die Definition für gute Kunst sein. Es gibt aus meiner Sicht verschiedene Trennungen in der Kunst. Da ist einmal die Unterteilung von handwerklicher und bildender Kunst. Das habe ich zum Beispiel im Studium gemerkt. Ich habe in einer Fachklasse für Keramik studiert. Da wurde deutlich, das Handwerk nicht so anerkannt ist wie bildende Kunst. Eine weitere Trennung sehe ich zwischen der Kunsttherapie und der bildenden Kunst. Kreativität ist bei beiden Richtungen präsent, wird aber auf eine andere Art gehandhabt und hat ganz andere Ziele.

Wo liegen die Unterschiede?

In der Kunsttherapie geht es aus meiner Sicht darum nach außen zu holen, was Innen ist. Die Kunst ist dabei eine von vielen Wegen, um mit sich in Kontakt zu kommen. Es geht nicht um das Produkt. Das Ziel ist es, einen Prozess anzustoßen, der heilsam auf das Innere wirkt. Manchmal ist noch nicht mal wichtig, was auf dem Bild zu sehen ist, sondern wie es sich angefühlt hat, es zu malen. Das Geschaffene steht als Stellvertreter:in für den Umgang mit sich selbst. Die Sachen, die in einer Kunsttherapie entstehen, haben oft einen starken Bezug zu der Innenwelt des Schaffenden, sodass die Menschen auch weiterhin mit ihrer Kunst verbunden bleiben. Wenn etwas im Außen kaputt geht, berührt das unter Umständen auch etwas im Inneren. Es ist super wichtig, dass man das nicht übersieht und damit vorsichtig ist, ob und wann etwas nach Außen gegeben werden kann.

Und wie ist das bei der bildenden Kunst?

Bei bildender Kunst ist das Ziel eher ein Austausch mit der Welt. Ich teile zwar etwas von meinem Inneren, aber ich bin von vornherein klar damit, dass es etwas ist, was nach Außen geht, was ich verkaufen will. Es ist ein Geschenk für die Außenwelt.

Gibt es auch etwas Verbindendes zwischen diesen beiden Ausdrucksformen?

Ja, in beiden Kunstformen hat es einen festen Platz, dass man kreativ mit dem Schmerz arbeitet. In der Kunstwelt gibt es Epochen, wo das total präsent war, wie zum Beispiel in den 70ern. Heute sagt man, dass es zu viel ist, wenn man sich nur mit dem Schmerz auseinandersetzt. Ich empfinde den Schmerz aber als total legitimen Motivationsfaktor. Ich habe in meiner künstlerischen Laufbahn auch viel damit gearbeitet.

Was möchtest du mit deiner Kunst erreichen?

Im Moment möchte ich, wenn ich etwas Neues in die Welt setze, dass es etwas ist, das einen heilsamen Aspekt hat. So wie es auch in der Kunsttherapie ist. Da gibt es das Prinzip, dass der Schmerz seinen Platz hat und auch gesehen wird und auch gestaltet werden kann und dann gibt es den Wunsch zu heilen. Ich würde mir wünschen, dass generell in der Kunst nicht nur der Schmerz transportiert wird, sondern dass schon ein weiterer Schritt passiert ist. Ich denke, wenn ich etwas rausgebe, was unreflektiert nur meinen Schmerz transportiert, was will ich dann damit? Was möchte ich denn, was Menschen daraus ziehen, wenn sie meine Arbeit sehen?

Wann gefällt dir Kunst?

Mir gefällt Kunst, die mich berührt. Mich interessieren Sachen, wo ich spüre, dass nicht nur der Verstand etwas untersucht, sondern auch das Unterbewusstsein etwas erzählen will, also eine intuitive Ausdrucksform spürbar ist. Dadurch entsteht für mich ein interessantes Zusammenspiel zwischen Kopf und Intuition.

Das Interview führte Kristin Plumbohm.

Fanny Oehmichen

2017 zog Fanny nach Magdeburg. Damals hätte sie sich vermutlich nicht vorstellen können, dass sie sich hier nicht nur verliebt, sondern auch ihr erstes Kind auf die Welt bringt. Was Magdeburg angeht, fühlt sie sich noch recht grün hinter den Ohren. Die Stadt hat sie bisher wenig entdecken können, weil sie mit den vielen privaten Veränderungen beschäftigt war. Doch sie würde sich eine Kunstszene in der Stadt wünschen, die hinterfragt, was Kunst ist und was sie selbst darunter verstehen will und es wundert sie, dass Kunst hier immer noch nicht stark genug als Faktor gesehen wird, der Leute in die Stadt zieht.

Fanny Oehmichen
Foto: Fanny Oehmichen